Sonne
von Judith » 16.08.2008, 07:41
Sie fürchtet sich. Die weiche Decke, die sie umhüllt, riecht nach Geborgenheit und ihrer Mutter, doch der Himmel über ihr ist so weit und die Sonne tut weh auf ihrem Gesicht. Alles schaukelt. Am Anfang fand sie das schön und lachte fröhlich, wenn das Körbchen hin und her schwankte, aber nun möchte sie, dass es aufhört. Sie ist durstig und fühlt sich alleine, und sie versteht nicht, warum niemand kommt und sie hochhebt. Manchmal weint sie leise vor sich hin und bekommt noch mehr Angst, weil plötzlich alles anders ist. Es ist nicht richtig. Wenn sie traurig ist, muss jemand kommen und ihr leise, beruhigende Worte ins Ohr flüstern, sie wärmen und ihr etwas vorsingen. Das ist immer so gewesen. Da war jemand, der nicht wollte, dass sie alleine ist und weint. Jetzt ist alles falsch. Sie versteht nicht, was hier geschieht. Sie mag es nicht, wenn das Licht in ihren Augen schmerzt. Aber noch weniger mag sie es, wenn der Himmel die Sonne frisst und alles so dunkel wird. Die Geräusche sind unheimlich. Es sind Laute, die sie noch nie zuvor gehört hat, langgezogene, klagende, wilde Töne, die das Körbchen zum Zittern bringen, wenn das Schaukeln schwächer wird. Sie hat kein Gefühl für Zeit, aber sie wird so müde, dass sie nicht mehr weinen kann. Manchmal schläft sie ein, aber nicht lange, die Töne lassen sie nicht zur Ruhe kommen. Eine Ewigkeit scheint zu vergehen, bis das laute, gleichmütige Heulen des Windes von einem kräftigen Rauschen abgelöst wird. Fast gleichzeitig hört das Schaukeln auf, und das Körbchen liegt still.
Zuletzt geändert von Judith am 16.08.2008, 16:30, insgesamt 1-mal geändert.
Playing the obedient daughter
brought you where the wolfbane grows