„Irgendetwas scheint Kiyama an mir zu finden. Dauernd hängt sie bei mir herum und sieht mich mit diesem Blick an. Als ob ich nicht schon genug Probleme mit den anderen hätte, muss ich mich jetzt wohl auch noch an ein anhängliches Mädel gewöhnen, die wohl ein Auge auf mich geworfen hat. Aber immerhin ist sie nicht so nervig wie die andere Bagage, eigentlich ist sie sogar ganz nett, aus ihr könnte mal was werden.
Wir haben uns nun doch dazu entschieden, den Weg nach Seattle an zu treten und der Einladung dieses Sidhe folge zu leisten. Einige der anderen sind wohl ganz aus dem Häuschen bei dem Gedanken, dass sie eine riesige Party erwartet. Aber ich bin da geteilter Meinung, die Sidhe sind zu nichts zu gebrauchen und machen nur Stress, wahrscheinlich haben sie sogar ein Auge auf unsere Freistatt geworfen und wollen sie sich unter den Nagel reissen. Morag war wohl auch nicht ganz so erfreut über die Einladung zu höfischen Genüssen, von Lavinia ganz zu schweigen, doch wahrscheinlich kommen wir nicht darum herum, wenn wir Streitereien vermeiden wollen.“
Nathan seufzte, legte den Stift auf Seite und knackte mit seinem Genick. Es war schon wieder spät geworden. Draußen war es bereits stock finster und die anderen schliefen wahrscheinlich schon alle. Doch irgendwer sollte wohl die Geschichten aufschreiben, die sie erlebten. Vielleicht würde sie sehr viel später sogar jemand lesen und ein alter Kithain an die Namen des Eidkreises erinnern. Sie hatten in der kurzen Zeit schon einiges erlebt und ihnen stand wahrscheinlich noch viel mehr bevor. Bevor sie alles vergaßen was sie erlebt hatten, würde Nathan es niederschreiben und ihnen das Buch da lassen, wenn die Zeit gekommen war.
Dann nahm er den Stift wieder auf und die Feder glitt in kunstvollen Buchstaben wieder über das Papier.
„Um den Großteil der Strecke von New Gateshire nach San Francisco zu überbrücken haben wir den Zug genommen. Eine lange langweilige Fahrt von einem Ende Amerikas zum anderen. Jede Menge Zeit nichts zu tun und über sinnlose Dinge nach zu denken. Wir haben zum Glück ein Abteil gefunden, dass komplett leer war. Dort haben wir uns niedergelassen, um die Zeit über ungestört zu bleiben. Manchmal könnte man denken, dass Kojiro doch ganz in Ordnung ist, aber nur wenn man nicht genau hin guckt. Er schätzt weder die Einsamkeit, noch die Ruhe, er ist einfach ein kleiner Emo der sich nicht sich mit anderen ab zu geben. Aber wenigstens gebietet er sich entsprechend seinem Stand und hält die Klappe, er hätte so oder so nichts Wichtiges zu sagen.
Ganz anders scheint Kiyama zu sein. Es hat nicht lange gedauert, bis sie sich neben mich gesetzt hat, bzw. sich über mich gelehnt, da sie "nur" durch das Fenster sehen wollte. Anscheinend glaubt sie nicht daran, dass ich durchaus erkenne, dass sie mir nahe sein will. Aber was soll´s? Immerhin nervt sie dabei nicht und versucht mich irgendwozu zu drängen. Also verbrachte sie den Großteil der Zeit damit, auf meinen Beinen zu liegen, welche ich auf der Sitzreihe vor mir gelegt hatte und sah aus dem Fenster.
Doch die Ruhe sollte nicht bis zum Ende halten. Kurz vor Schluss betrat eine Horde pubertierender Kleinkinder das Abteil und schwärmten von irgend so einem beknackten Vampirfilm und schienen unsterblich in die Darsteller verliebt. Natürlich war das ein Anlass den sich die Pookahs nicht entgehen ließen. Nach kurzem Rumgehopse Kelthys, war Vesa der Star der aufgebracht kreischenden Mädchenmenge, die ihn für die Liebe ihres Lebens hielten. Sofort fing er damit an, seinen Minderwertigkeitskomplexen nach zu geben und schwelgte in der kurzen Aufmerksamkeit die ihm zuteil wurde. Damit nicht genug wurde nun auch Kojiro in die Szenerie mit eingebunden. Durch Kelthys wunderbaren Künste war er wohl die Hauptdarstellerin des Films und Ikone so manch kleinen Mädchens.“
Am Rande der Seite ist zu dieser Textpassage ein fies grinsender Smiley gemalt.
„Doch auch Kelthy wollte sich schlussendlich selbst in all dem Trubel sehen und verwandelte sich auf der Toilette in ihre Eichhörnchengestalt um wild tanzend Kiyamas Aufmerksamkeit zu erregen und sie ebenfalls ein zu binden. Aber anscheinend kam sie nicht besonders gut damit klar, dass es etwas für die Mädchen gab, das wichtiger schien als ein tanzendes Eichhörnchen, denn schon nach kurzer Zeit verwandelte sie sich wieder zurück, um weiter ihr Unwesen zu treiben.
Nun verlieh sie anscheinend auch mir das Aussehen einer Person aus dem Film und schon hatte ich einen Fan an der Backe. Wenigstens schien ich nicht gerade den attraktivsten Darsteller erwischt zu haben, sodass der Mädchensturm ausblieb und ich die Kleine mit einem Autogramm zufrieden stellen konnte. Zum Glück stand der Name des Heinis auf der Karte.
Da die Gruppe der nervtötenden Mädchen jedoch eine Station früher aussteigen mussten als wir, endete das Treffen wenigstens in San Francisco. Sie meinten, sie wollten den Drehort des nächsten Filmes besuchen. Was gibt es nicht alles für Freaks!
In San Francisco angekommen mussten wir noch ein Stück zu Fuß zurücklegen, da die Freistatt wohl auf einer Insel lag, die wir nur mit einer Fähre erreichen konnten.
Auf dem trafen wir auf einen Hippie, der am Straßenrand saß und Lieder auf seiner Gitarre klimperte. Auf mich machte er keinen besonderen Eindruck, dennoch bewegte er den Rest dazu, stehen zu bleiben und ihm zu zu hören, sodass unsere Ankunft bei der Fähre um einige Minuten verzögert wurde. Später sollten wir dem Hippie auch auf der Insel begegnen. Wie er dort hingekommen ist? Keine Ahnung, aber wahrscheinlich kannte er eine Abkürzung, oder verfügte über besondere Fähigkeiten, jedenfalls war er vor uns dort.
Bei der Fähre angekommen, besorgte Thor eine Passage für uns, da anscheinend niemand daran dachte, ein Ticket ein zu lösen. Immerhin war die Fähre ein größeres Schiff und kein kleiner Holzkahn, der schon auseinander fiel wenn man ihn ansah.
Während sich die anderen irgendwo auf dem Schiff vergnügten, begab ich mir zum Bug und nahm in einer der Sitzreihen Platz, wo ich meine Füße auf den Stühlen vor mir ablegte. Auch Kiyama und Vesa hatten den Weg nach vorne gefunden.
Nach kurzer Zeit kam das Gespräch der beiden darauf, dass Kiyama anscheinend lernen wollte, wie sie sich selbst verteidigen konnte. Vesas Augen glitzerten vor Freude und bevor Kiyama ihren Gedanken ausgesprochen hatte, bot er ihr an, sie zu trainieren und ihr die Grundlagen der Selbstverteidigung bei zu bringen. Sie sollte damit anfangen, seinen Angriffen aus zu weichen und schlug in Zeitlupe auf sie ein. Er wollte ihr also tatsächlich den Müll beibringen, den er Kampfkunst nannte und mit denen er sich auf dem Pausenhof mit Erstklässern prügelte, weil die Großen zu stark für ihn sind.
Nachdem sie von ihm die Nase voll hatte, kam Kiyama dann zu mir und bat mich darum, ihr etwas bei zu bringen. Doch ihr fehlt der essentielle Grundstein, um einen Kampf zu gewinnen. Ihr fehlt die Bereitschaft, ihren Gegner ernsthaft zu schädigen, bevor er es tut, so wird sie niemals gewinnen und immer nur weglaufen können.
Als ich ihr das sagte, antwortete sie noch irgendetwas, das ich nicht verstanden habe und setzte sich auf meinen Schoß, um sich an mich zu schmiegen. Was war bloß los mit ihr und warum rückte sie mir so auf die Pelle? Aber da sie sonst nichts weiter unternahm ließ ich sie einfach sitzen und schaltete meine Gedanken während dem Rest der Überfahrt ab.
Auf der Insel fing der Rest nun an zu überlegen, wohin sie nun als nächstes latschen sollten, also marschierte ich einfach los. So wie ich das sehe, mussten wir nur die Freistatt finden, kurz Hallo sagen und konnten dann recht schnell wieder verschwinden. Also begab ich mich an den Aufstieg des Hügels, welcher zum Stadtzentrum führte. Von dort oben hatte man einen guten Überblick über die Stadt.
Auf dem Weg traf ich einen Boggin, diese nervigen Wichtel die sich immer um alles kümmern mussten, was in einem Haushalt so anfiel. Ganz praktisch wenn man so einen besitzt, aber nicht zu empfehlen, um ihn mit auf Reisen zu nehmen.
Ich sprach kurz mit ihm, ob er wüsste wo hier die Freistatt wäre und ob er den aufgeblasenen Sidhe kannte, der uns damals besucht hatte.
Der Sidhe gehörte wohl zu einem „gehobeneren“ Haus, dass ihre Freistatt in einem Park hatte und sich nicht besonders um die Commoner kümmerte. Immer wieder sympathisch, diese Spinner. Da wir aber noch eine Unterkunft brauchten, schien es mir ratsam, dem Wichtel zu folgen, wahrscheinlich würde er mich zu einer anderen Freistatt führen, die gastlicher war als die der Sidhe.
Leider hatte ich mich geirrt und so löste sich seine Gestalt irgendwann einfach auf. Ich war einer Illusion gefolgt und zwar in eine der einfacheren Gegenden. Also machte ich mich an den Rückweg immer den Berg hinauf und konnte mir so einen Überblick über die Stadt verschaffen.
In der Zwischenzeit meldete sich Morag in meinen Gedanken um mir mit zu teilen, dass sie die Freistatt gefunden hätten und das wir uns bald treffen sollten.“